Generation Praktikum: „Ihr habt es ja so gut“

Ein beeindruckendes Plädoyer

Ein beeindruckendes Plädoyer für eine neue Politik nach menschlichem Maß: "Wenn mir jemand sagt, unsere Generation habe es doch so gut, kann ich nur lachen. Unser Erbe ist keines, über das man sich freut. Der Markt regelt gerade alles mögliche, nur nicht unsere Zukunft."

Von KATHARINA NOCUN 

Wenn Großeltern über meine Generation reden, sagen sie oft, wir hätten es ja so gut. Es stimmt, wir haben keinen Krieg erlebt, keine Vertreibung, und wir hatten immer genug zu essen. Objektiv gesehen könnte man sagen, wir haben Glück gehabt. Wenn da nicht die Zukunft wäre. Meine Generation hat viele Namen: Generation Praktikum. Generation Burnout. Generation Altersarmut.

Als wir zur Schule gingen wurde uns gesagt, uns stehe die Welt offen.

Meine Professoren, die noch umsonst studiert und promoviert hatten, rechneten uns die Vorzüge von Bildungsgebühren vor. Also nahmen wir Kredite auf, schließlich musste gespart werden. Wir gingen auf die Jagd nach Bildungsscheinchen. Soft-Skills wurden im Ehrenamt geprobt. Und dann noch Auslandssemester und Sprachkurse und Zusatzqualifikationen – der Arbeitsmarkt sieht das gerne. Nur wussten wir vom ersten Semester an eines ganz genau: Es sind nicht genug Masterplätze für alle da. Und meine Freunde auf der Realschule bekamen gesagt: Bei der Sparkasse stellen sie nur noch mit Abitur ein. Und bei der Hauptschule hieß es: Beim Handwerk erwarten sie eigentlich Realschulabschluss. Daher: Bloß ohne Verzögerung den Abschluss machen und herausragende Noten haben. Ergebnis: Die Wartezeiten bei psychologischen Notdiensten von Uni und Schulen schossen in die Höhe. Die Generation Bachelor-Master und Turbo-Abi ist eine getriebene Generation. Höher, schneller und weiter!

Viele meiner Freunde haben zwei oder mehr unbezahlte Praktika gemacht.

Das ist mittlerweile vollkommen normal. Aber was sie dann erwartet, sind nicht selten befristete Arbeitsverträge. Und das jahrelang. Viele meiner Freunde wurden nach der Ausbildung nicht übernommen. Die Arbeitslosigkeit ist gering, aber was sind das für Jobs, die uns erwarten? Viele gut ausgebildete junge Leute hangeln sich von einem Zeitvertrag und Honorarjob zum nächsten. Ich habe Freunde, die von Zeitarbeitsfirmen systematisch ausgebeutet werden und das über Jahre hinweg. Überhaupt gab es noch nie so viele junge Menschen, die aufgrund psychischer oder psychosomatischer Beschwerden krank geschrieben werden, wie heute. Neben dem Hamsterrad aus durchstrukturierter Bildungslaufbahn, Praktika und Jobs auf Probe bleibt für viele wenig Zeit für Politik. Obwohl die Politik in weiten Teilen Verantwortung für diese Situation trägt. In Italien nennt man meine Generation die 1000-Euro Generation. In Griechenland heißt sie die 700-Euro Generation. Hier werden wir einfach nur Generation Praktikum genannt.

Wir sind mit menschengemachten Naturkatastrophen aufgewachsen.

In meiner Kindheit wurden Treibhausgase und einige Pestizide verboten. Das Ozonloch wächst trotzdem jeden Sommer. Die Gletscher in der Antarktis schmelzen vor sich hin. Alle paar Jahre beobachten wir scheiternde Klimakonferenzen. Wirkliche Ergebnisse erwartet eh niemand mehr. Aus Fukushima wird jeden Monat routiniert der radioaktiv verseuchte Wasserstand gemeldet. Was viele nicht verstehen: Das Wort Endlager hat aus der Perspektive eines 20jährigen Menschen einfach eine andere Bedeutung. Im Radio heißt es immer: Es besteht kein Grund zur Sorge. Aber es gab noch nie eine Generation, in der Allergien so verbreitet waren. Viele meiner Freunde haben Neurodermitis. Ich habe Angst vor dem Erbe unserer Eltern und frage mich heute schon, wie man es am besten wieder loswerden kann.

In meiner Jugend habe ich zwei Wirtschaftskrisen erlebt.

Erst kam die US-Immobilien-Krise. Zeitgleich zahlte ich Studiengebühren, und Freunde sparten für die Riester-Rente. Es folgte die Finanzkrise. Eine Freundin von mir sah ihren Ersparnissen zu, wie sie sich auflösten. Dann fingen das Milliarden-Monopoly an, und plötzlich wurden Milliarden locker gemacht. Als hätte es die bei der Debatte um einige wenige Millionen für Studiengebühren und Kindergartenbetreuung nie gegeben. Seit wie vielen Jahren haben wir jetzt eigentlich schon Finanzkrise? War es letztes oder vorletztes Jahr, als Millionen junger Menschen in Portugal, Griechenland und Spanien auf die Straße gingen? Was hat sich verändert, seitdem die Wall Street geräumt wurde? Wenn mir jemand sagt, unsere Generation habe es doch so gut, kann ich nur lachen. Unser Erbe ist keines, über das man sich freut. Der Markt regelt gerade alles mögliche, nur nicht unsere Zukunft.

Wir sind mit den Folgen der Anschläge von 2001 aufgewachsen.

Mit Anti-Terror-Listen, Anti-Terror-Einheiten, Anti-Terror-Dateien und Anti-Terror-Gesetzen. Mit Warnungen vor herrenlosem Gepäck, mit dem Verbot der Mitnahme von Flüssigkeiten in Flugzeugen, mit biometrischen Ausweisen, mit Nacktscannern an Flughäfen, mit Gesinnungstests an Unis, mit Fingerabdrücken auf Reisepässen. Mit Kriegen, die wir nicht verstehen. Mit Vorratsdatenspeicherung, mit Internetzensur, mit Staatstrojanern. Wenn ich die Zeitung aufschlage, schlägt mir pure Angst entgegen. Und ich habe Angst vor dieser Entwicklung. Die 68er-Proteste hatten nicht so hohe Auflagen bei Demonstrationen wie unsere Demos gegen Studiengebühren. Je älter wir werden, desto weniger wird selbstverständlich. Ich sehe mir Gesetze mit einer Software an, die mir die Änderungen der letzten Jahrzehnte farbig markiert, und mir ist zum Heulen zumute. Das Erbe der Mütter und Väter des Grundgesetzes wird immer mehr ausgehöhlt. Wir werden nur einen Abklatsch davon erben. Das Tafelsilber der Demokratie, unsere Freiheitsrechte, wurde im großen Stil verscherbelt für eine Handvoll simulierte Sicherheit und populistischen Wahlkampf.

Menschen in meinem Alter rechnen nicht mit Rente.

Deutschland hat die zweitälteste Bevölkerung der Welt. Schon jetzt sagt die Statistik: Statt 50 oder gar 60 Prozent wird meine Rente mit etwas Glück höchstens 40 Prozent meines Einkommens betragen. Als Durchschnittsverdiener müsste ich heute 26 Jahre lang einzahlen, um bei der Rente überhaupt auf Hartz-IV-Niveau zu kommen. Ich frage mich, was aus den vielen wird, die weniger verdienen. Wir Jungen sollen privat vorsorgen. Aber nicht nur meine Freunde steigen bei ihren Altersvorsorge-Finanzprodukten nicht durch. Der Staat anscheinend auch nicht. Denn ein beachtlicher Teil unserer Beiträge und der Fördergelder aus Steuermitteln gehen für Provisionen drauf. Fakt ist: Viele werden nicht einmal so viel rausbekommen, wie sie eingezahlt haben. Und ich frage mich, wann ich unter diesen Bedingungen in Rente gehen kann. Bestimmt nicht mit 67.

Wir sollten einfach mehr Kinder zeugen…

Manche sagen, meine Generation sei doch selbst schuld und nur zu egoistisch und auf sich bezogen. Dass mit der Rente könnte man doch ganz leicht lösen, durch höhere Geburtenraten. Aber wann sollen wir denn bitte sehr Kinder bekommen? Während des Studiums mit Bachelor-Master-System vielleicht? Mit Anwesenheitspflicht, Regelstudienzeitdiktat und Studienkredit? Während des unbezahlten Praktikums? Vielleicht beim niedrig bezahlten Volontariat oder Ausbildung ohne Übernahmeaussicht mit Überstunden-Garantie? Oder zwischen zwei jobbedingten Umzügen, weil wir ja so unglaublich flexibel und mobil für den Arbeitsmarkt sind? Wer zahlt uns den Karriereknick durch Kinderzeit? Was ist, wenn man am Ende alleinerziehend ist? Und überhaupt, wo wir schon einmal beim Thema sind: Wer passt auf das Kind auf? Wenn es nicht einmal genug Kindergärten, KiTa-Plätze, Ganztagsschulen und mit Familie vereinbare Jobs gibt. Sorry, aber uns Egoismus zu unterstellen, weil wir wenig und eher spät Kinder bekommen, ist in Anbetracht der Umstände mehr als unangebracht.

Statt echter Reformen wird an kranken Systemen herumgedoktert.

Ich bin sauer. Es wurde nie langfristig gedacht, immer nur bis zur nächsten Wahl. Egal ob bei der Wirtschaft, bei der Bildung, in der Umwelt- oder Familienpolitik oder bei den Sozialsystemen. Ich könnte ja sagen, dass es mir egal wäre. Das wäre sicher bequemer. Und irgendwie ist der ganze Missstand auch dermaßen demotivierend und irgendwie auch beängstigend, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen sollte. Aber leider wird mich das alles noch zu Lebzeiten einholen. Verdrängen gilt also nicht. Was mich wirklich wütend macht, ist das Fehlen von Visionen in den Parlamenten. Visionen nicht etwa für die nächsten 5 Jahre. Sondern Visionen für die Zukunft einer ganzen Generation. Meiner Generation.
Verantwortung übernehmen bedeutet auch einmal neue Lösungen auszuprobieren und mutige Schritte zu wagen. Warum haben wir kein Rentensystem, das auch mir ein Altern in Würde ermöglichen wird? Warum reden wir nicht einmal über neue Sozialversicherungsmodelle, die neue Erwerbsstrukturen berücksichtigen? Warum gibt es mehr als ein Jahrzehnt nach dem 11. September 2001 immer noch Anti-Terror-Gesetze, die in Kraft sind? Wieso geben wir Milliarden für zweifelhafte Banken-Bailouts aus, während es beim Studienkredit meiner besten Freundinnen keinen Bailout geben wird? Ich fühle mich so, als würde die Generation meiner Eltern gerade eine riesige Party schmeißen und wir dürften anschließend aufräumen und die Rechnung zahlen. Ist das die Politik, die an die Zukunft denkt? Soll das Vorbild-Charakter haben? Oder ist das etwa Absicht und Wahlkampf-Taktik?

Meine Generation, das ist eine Minderheit.

Das Durchschnittsalter in Deutschland beträgt 45 Jahre. Ein Drittel der Wahlberechtigten beziehen Rente. Als Kind und Enkel der Mehrheit wünsche ich mir, dass die Mehrheit der Eltern und Großeltern verantwortungsbewusst mit unserer Zukunft umgeht. Und nicht länger so tun, als würde es kein Übermorgen geben. Meine Generation ist nicht unpolitisch. Wir wollen etwas bewegen. Nur müssen wir uns als Gesellschaft eben auch als Ganzes bewegen, um das Ruder noch herumreißen zu können.

Katharina Nocun (Foto: Miriam Juschkat)
Katharina Nocun (Foto: Miriam Juschkat)

Katharina Nocun war von Mai bis November 2013 Politische Geschäftsführerin der Piratenpartei Deutschland. Sie wurde 1986 in Polen geboren und kam im Alter von drei Jahren mit ihren Eltern nach Deutschland. Nocun studierte nach dem Abitur 2006 u. a. Politik und Wirtschaft sowie Philosophie. Die 26-Jährige beeindruckt durch Redegewandtheit und klare Analysen; sie gilt als sachlich und frei von Star-Allüren: „Ich will keine Identifikationsfigur werden.“

Mehr über Katharina Nocun auf ihrer website: www.kattascha.de

 

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