Vierhundert israelische Jugendliche unterzeichnen eine Petition an den Premierminister: „Die Annexion von Teilen des Westjordanlandes bedeutet den bestehenden Konflikt zu verschärfen und gleichzeitig Besetzung, Gewalt und Rassismus festzuschreiben.“ Die Schülerin Shahar Peretz protestiert vor dem Haus von Verteidigungsminister Benny Gantz in Rosh Haayin. „Ich war erstaunt über das Unwissen der Soldaten, die in den betroffenen Gebieten eingesetzt werden.“ Auf ihrem Schild steht: „Soldat! Höre zu! Du kannst dich wehren!
Von Oren Ziv – +972 Magazine
Die Petition mit dem Titel „Teens Against Annexation“ (Jugendliche gegen die Annexion), die an Premierminister Benjamin Netanjahu und die übrigen israelischen Minister gerichtet ist, umreißt die verheerenden Folgen, die eine Annexion sowohl für Palästinenser als auch für Israelis haben könnte. Sie stellt ferner fest, dass die Unterzeichner, die den israelischen Wehrdienst ableisten möchten, dieselben sein werden, die zur Durchführung der Annexionspolitik gezwungen werden.
„Die Entscheidung, mit der Annexion zu beginnen, wird die Apartheid in den besetzten Gebieten zum offiziellen Gesetz machen und sie noch extremer werden lassen“, heißt es in der Petition. „Heute, da wir das Alter erreichen, in dem der Staat Israel von uns verlangt, aktiv an einer rassistischen und gewalttätigen Politik teilzunehmen, sind wir verpflichtet, uns aktiv und entschieden gegen die Annexion zu wehren“.
Netanyahu hatte den 1. Juli 2020 als Datum für den Beginn der Annexion von Teilen des Westjordanlandes in Übereinstimmung mit dem sogenannten „Deal des Jahrhunderts“ der Trump-Regierung festgelegt. Bisher ist jedoch unklar, ob der Premierminister, der von der internationalen Gemeinschaft wegen des geplanten Vorgehens auf Missbilligung und Drohungen stößt, in der Lage sein wird, dies durchzusetzen.
Die Petition gegen die Annexion wurde sowohl von jungen Israelis unterzeichnet, die planen, sich zum Militär zu melden, als auch von denjenigen, die planen, sich dem Militär zu verweigern. „Im kommenden Jahr werden sich viele von uns in die Armee begehen. Es wird dann von uns verlangt, die Annexionspolitik umzusetzen, die der palästinensischen Bevölkerung und einer Friedensvision ernsthaften Schaden zufügen wird. Aus diesem Grund appellieren wir – junge Menschen – unmissverständlich an die israelische Öffentlichkeit und die Entscheidungsträger: Die Annexion muss so schnell wie möglich gestoppt werden.“
Die Unterzeichner warnen ferner: „Dieser Schritt wird zweifellos die gewaltsamen Auseinandersetzungen in unserer Region wiederaufleben lassen. Die Opfer werden sowohl Palästinenser als auch Israelis sein. Es ist ein Schritt zur Vertiefung des Konflikts, der den Kreislauf von Blut und Tod aufrechterhält und gleichzeitig Besetzung, Gewalt und Rassismus festschreibt.
Die Initiative wurde von einer Reihe junger Menschen ins Leben gerufen, die sich trafen, um den diesjährigen Shministim-Brief zu diskutieren [ein jährlicher Brief, der von israelischen Oberstufenschülern veröffentlicht wird, die ihre Absicht bekunden, den Dienst in der israelischen Armee aufgrund ihrer Opposition gegen die Besatzung zu verweigern – O.Z.] und denen sich schnell weitere anschlossen. Es gelang ihnen, während der großen Demonstration gegen die Annexion, die Anfang Juni in Tel Aviv stattfand, 150 Unterschriften zu sammeln.
„Wir waren überrascht von der Vielzahl an Unterzeichnern und seitdem kommen jeden Tag mehr hinzu“, sagte Shahar Peretz, 17, aus der Stadt Kfar Yona. „Die Leute wenden sich auch an uns auf Instagram, wo es generell weniger politische Diskussionen gibt“, sagte sie.
„Wir haben vor langer Zeit eine rote Linie überschritten“, fügte Peretz hinzu, „die Annexion ist nichts Neues, aber sie bedeutet doch etwas im Hinblick auf Israels Absichten, die Richtung, in die es geht, und wohin es seine Energie investiert. Wird diese Energie für den Frieden oder für die Besetzung eingesetzt?
„Ich möchte glauben, dass es einen Aufbruch gibt, hoffe aber, dass er sich noch verstärkt“, sagt die Siebzehnjährige. „Ich war überrascht über den Mangel an Wissen und Vertrautheit unter denjenigen, die im nächsten Jahr [in den Gebieten] dienen werden.“
Yoav „Tao“ Birenboim, 18, aus Ramat Hasharon, wird demnächst in die Nahal-Brigade der IDF (engl. Israel Defense Forces, Israels Streitkräfte) eingezogen. Er ist auch einer der vierhundert Jugendlichen, die den Brief unterschrieben haben. „Es war für alle [Beteiligten] wichtig, dass es sich nicht um eine Petition von Wehrdienstverweigerern handelte, da Wehrdienstverweigerer nicht die einzigen sind, die gegen die Annexion sind“, sagte er und zeigte damit, dass er sich nicht scheut, seine politische Meinung vor der Einberufung zum Ausdruck zu bringen.
„Sobald ich von der Annexion hörte, wurde mir klar, dass die Linke sagen wird, es sei eine schlechte Sache, aber ich wusste nicht, was das wirklich bedeutet. Also begann ich, das Thema zu recherchieren.“ Für Birnbaum war dies der Beginn eines Prozesses.
„Wenn die Besetzung eine Unterdrückung ist, dann bringt sie die Annexion ein paar Schritte vorwärts“, fügte er hinzu. „Ich war dieses Jahr auf einer Demonstration in Hebron, und die Soldaten, die auf den Dächern über uns standen, feuerten Tränengas [auf die Demonstranten] ab. Ich sage mir, dass ich ein Jahr später derjenige dort oben sein werde, der genau diese Unterdrückung durchführt und die Besetzung umsetzt.“
Avia Yoel Finkowitsch und Daniel Peldi sind zwei 18-jährige Israelis, die den Brief ebenfalls unterschrieben haben. Ich (der Autor Oren Ziv) traf die beiden während der Kundgebung gegen die Annexion auf dem Rabin-Platz in Tel Aviv. Danach sprachen sie mit anderen jungen Menschen über die wirtschaftlichen Aspekte der Annexion und versuchten, sie zur Unterzeichnung zu bewegen.
„Die Annexion hat etwas Endgültiges“, sagt Peldi. „Viele Menschen sind mit der Besetzung zufrieden, weil sie glauben, dass sie eines Tages einen Zustand des Friedens hervorruft. Die Jugendlichen sprechen immer von ihren Hoffnungen auf Frieden, während sie gleichzeitig die Besetzung aufrechterhalten. Aber Annexion bedeutet zu sagen: ‚Das gehört uns, und es wird nie jemand anderem gehören‘.
Israels Verteidigungsminister Gantz sagte, [die Annexion] werde die Gegebenheiten nicht beeinflussen, aber das tut sie bereits“, fügt Yoel Finkowitsch hinzu. „Israel ignoriert die Tatsache, dass die andere Seite nicht will. Wieso erfolgt dies dann einseitig?“
Text und Foto: Oren Ziv
Quelle: Internationale Presseagentur Pressenza
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Anita Köbler vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt.